Gefährdungen

Verlust an Lebensraum und Nahrungsgrundlage
Mit der Möglichkeit, auch offene Wattflächen eindeichen zu können, begann ein weiteres Kapitel in der Gefährdung der Seehunde. Neben direkten Auswirkungen durch Zerstörung von Lebensraum wurde auch der Lebensraum von Nahrungstieren eingeschränkt. Wichtige „Kinderstuben“ der Nordseefische gingen verloren. Zusätzlich haben neue Fangtechniken in der Fischerei den Fischbestand dezimiert.

Störung durch den Menschen
Vor allem während der Sommermonate Juni bis September braucht der Seehund Ruhe. In diese Phase fallen nicht nur Geburt und Jungenaufzucht, sondern auch Paarungszeit und Haarwechsel. Während dieser Monate befinden sich jedoch im Wattenmeer zahlreiche Touristen, die durch Aktivitäten wie unbedachte Wattwanderungen, Wassersport oder falsches Verhalten die Seehunde nachhaltig stören. Einige Experten halten Störungen durch Menschen für die häufigste Ursache für die Trennung von Muttertier und Welpen.

Solche Störungen können für das Junge fatale Folgen haben. Werden die Seehundmütter beim Säugen unterbrochen, kann es bei den Welpen zu Untergewicht bis hin zum Tode durch Nahrungsmangel oder Erfrieren kommen. Müssen die Tiere flüchten, bspw. weil sich Touristen zu nah an einer Schutzzone aufhalten, verbrauchen sie Energie, die ihnen gleichzeitig durch mangelndes Säugen fehlt. Zudem können bei Jungtieren, deren Nabel noch offen ist, durch die Reibung auf Sand während des Robbens großflächige Wunden, Nabeldurchbrüche oder sogar tödliche Bauchfellentzündungen entstehen.

Krankheiten
Die seit jüngeren Zeiten wieder stabil hohen Seehundbestände bewirken auch, dass Parasiten eine bessere Lebensgrundlage finden. Viren, Bakterien, Würmer, Läuse und Milben können wieder leichter von Tier zu Tier wechseln und breiten sich schneller aus. Infektionsanfälligkeit und Immunschwäche durch Schadstoffe und Mangelernährung tragen zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko bei.

Verschmutzung und Schadstoffbelastung
Vor allem über die Flüsse gelangen täglich große Mengen Abwässer in die Nordsee. Hierin sind nicht nur Phosphate und Nitrate, wie sie in der Landwirtschaft als Dünger genutzt werden gelöst, sondern auch Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Cadmium gelangen auf diesem Weg in die Nordsee. In der Nahrungskette erhöhen sich die Konzentrationen der Giftstoffe stetig. An der Spitze der Nahrungskette – dem Seehund – sind daher Schadstoffkonzentrationen nachweisbar, die bis zu 100.000.000-fach höher sind, als im Meerwasser. Nach dem Seehundsterben 1988 in Schleswig-Holstein mussten beispielsweise 400 Tiere als Sondermüll entsorgt werden, da sie mit Quecksilber verseucht waren.

Die Schwermetallverbindungen (Kupfer Zink, Cadmium, Blei, Quecksilber) und chlorierten Kohlenwasserstoffe (PCBs, DDT, DDE, Dieldrin, Lindan), die zwei wichtigsten Schadstoffgruppen, haben unterschiedliche Wirkungen, die in der Regel sehr komplex sind:

SchadstoffeAnreicherung inSymptome
SchwermetalleLeber, NiereHemmung des Reifungsprozess im Eierstock (Follikelreife)Immunschwäche, Infektionsanfälligkeit
Chlorierte Kohlenwasser-
stoffe
FettgewebeStark verminderte Vermehrungsratez.B. durch Absterben des Embryos, FrühgeburtenImmunschwäche, Infektionsanfälligkeit durch Vitamin-A und Schilddrüsenhormonmangel; Verdacht auf hormonelle Fehlsteuerungen:
Fruchtbarkeitsstörungen, verzögerte Wundheilung, Infektionsanfälligkeit, knochenzerstörerische Prozesse

Während sich Schwermetalle vor allem in inneren Organen, vornehmlich Leber und Niere, anreichern und von dort aus den Körper beeinflussen, sind die fettlöslichen, chlorierten Kohlenwasserstoffe hauptsächlich im Fettgewebe nachweisbar. Dieses ist vor allem von Bedeutung, wenn der Seehund − wie zum Beispiel ein Muttertier während der Säugezeit − stark abnimmt. Der Organismus wird dann mit den Schadstoffen geradezu überschwemmt, diese werden zudem mit der Muttermilch an den Welpen weitergegeben.